Der Slogan des WEF 2023 lautet „Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt“. Diese Fragmentierung begann mit Covid-19 – mit seinen Lockdowns, geschlossenen Grenzen und unterbrochenen Lieferketten. Daher kann das WEF 2023 – das erste Forum, das seit Beginn der Pandemie an seinem regulären Winterort stattfindet – als Signal für eine Rückkehr zur Normalität gesehen werden. Allerdings hat Chinas plötzliches Aufgeben seiner Null-Covid-Politik Bedenken aufgeworfen, dass eine neue Welle von Varianten auftreten könnte.
Selbst wenn eine neue Pandemiephase vermieden wird, hat Covid seine Spuren in den Gedanken von Regierungen und Unternehmen hinterlassen und bestimmt, wie sie die Globalisierung betrachten. Die Annahme, dass Güter und Rohstoffe immer leicht um die Welt verschifft werden können, ist zerstört. Unternehmen haben sich von „just in time“ Lieferkettenstrategien auf „just in case“ umgestellt. Weitere globale Gesundheitsnotfälle sind möglich. Andere Szenarien – einst als ferne Möglichkeiten betrachtet – rücken nun stärker in den Fokus. Extreme Wetterereignisse werden häufiger, was Fragen zur Ernährungssicherheit und zum Reisen aufwirft. Cyberangriffe durch Staaten oder Kriminelle bedrohen die Infrastruktur, auf der die moderne Wirtschaft angewiesen ist.
Oft auf Anweisung von Regierungen hin müssen Unternehmen ihre Arbeitsweise ändern. Es ist nicht klug, auf komplexe Lieferketten zu vertrauen, die anfällig für Krankheiten, Krieg oder andere Notfälle sind. Unternehmen wie Apple, die früher stolz darauf waren, Produkte „designed in California, assembled in China“ zu haben, müssen ihre Produktion diversifizieren und produzieren zunehmend auch in Indien und Vietnam.
Geopolitische Risiken
Die jüngste Invasionsaktion Russlands in die Ukraine hat eindrucksvoll demonstriert, dass das Unvorhergesehene eintreten kann. Der aktuelle Konflikt, der als der größte Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gilt, wird in unmittelbarer Nähe der luxuriösen Umgebung von Davos ausgetragen.
Die andauernde Eskalation des Konflikts in der Ukraine birgt nach wie vor ein beträchtliches Risiko. Die Möglichkeit eines Atomkriegs stellt dabei die am meisten beängstigende Entwicklung dar und hat seit Ausbruch der Kämpfe im Februar das Interesse des Weißen Hauses geweckt. Selbst wenn ein Einsatz von Atomwaffen vermieden werden kann, bleibt die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts bestehen, da die NATO fortschrittliche Waffensysteme an die Ukraine liefert und Iran militärische Drohnen an Russland verschifft.
Der Konflikt hat eindrücklich veranschaulicht, wie Krieg die wirtschaftlichen Beziehungen, auf denen die Globalisierung basiert, zerstören kann. Die Europäische Union hat ihre Importe von russischem Energieträger erheblich reduziert, was zu Inflation in Europa führt und einige Branchen weniger wettbewerbsfähig macht
Politiker und Industriellen durchsuchen den Horizont nach der nächsten großen geopolitischen Bedrohung. Viele haben sich dabei auf Taiwan konzentriert, das 90 Prozent der fortschrittlichsten Halbleiter der Welt produziert. Eine chinesische Invasion Taiwans könnte den wichtigsten Halbleiterproduzenten TSMC zum Stillstand bringen und verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.
Selbst geopolitische Spannungen, die weit entfernt von einem Krieg sind, haben den internationalen Handel beeinträchtigt. Die zunehmend vorsichtige Haltung der USA gegenüber China hat dazu geführt, dass die Biden-Regierung den Export sensibler Technologie nach China drastisch einschränkt. Dies betrifft nicht nur US-Unternehmen, sondern auch ausländische Technologiegiganten wie Samsung aus Südkorea, die US-Technologie verwenden.
Das WEF: Vergifteter Boden
Politische Führer, insbesondere im Westen, müssen sich auch um den innenpolitischen Druck sorgen. Für viele ist das WEF zum Symbol der Ungerechtigkeit und der wurzellosen internationalen Unterdrückung geworden.
In jüngster Zeit hat Davos das Missfallen von Anti-Impf-Befürwortern, Klimaskeptikern, religiösen Fanatikern und Nationalisten auf sich gezogen. Das Forum spielt in einer Reihe von Verschwörungstheorien eine Rolle. Nicht ohne Grund, wobei der tatsächliche Einfluss des Forums natürlich bezweifelt werden kann. In ihnen wird dem WEF vorgeworfen, die Pandemie genutzt zu haben, um die Kontrolle über die Weltwirtschaft zu festigen. Wobei verschiedene Aussagen von Teilnehmern und Publikationen des Forums selbst als Belege dienen.
Abgesehen von solchen Theorien hat die Idee, dass Davos leicht giftig ist, an Boden gewonnen. Präsident Joe Biden, der sich entschlossen präsentiert, für die Interessen der normalen Arbeitnehmer zu kämpfen, ist unwahrscheinlich, einen Auftritt in Davos zu riskieren – im Gegensatz zu Donald Trump, der es genoss, sich mit den versammelten CEOs zu umgeben.
Selbst moderate und konservative Führer in Europa sollten vorsichtig sein, an dem WEF teilzunehmen. Präsident Emmanuel Macron aus Frankreich, ein Verfechter der Globalisierung, der in der Vergangenheit in Davos gesprochen hat, hat eine heikle innenpolitische Pensionsreform durchzusetzen und könnte entscheiden, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für eine Teilnahme an der WEF ist. Als neuer britischer Premierminister und mit einem Finanzbackground, würde man von Rishi Sunak erwarten, dass er die Gelegenheit nutzt, um die mächtigsten CEO’s der Welt zu beeindrucken. Aber das Vereinigte Königreich steht vor einer Welle von Streiks, weshalb er wahrscheinlich auch entscheiden wird, dass es klug ist, die WEF in diesem Jahr zu verpassen.
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