Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat wichtige Lehren ans Licht gebracht, sowohl über die Natur der zukünftigen Kriegsführung als auch, was militärische Macht wirklich ausmacht. Und durch ihn wurde erneut die Notwendigkeit hervorgehoben, veraltete Annahmen und Vorstellungen infrage zu stellen.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Ein Paradigmenwechsel

Ein Jahr nach seinem Beginn hat der Krieg um die Ukraine Militärs auf der ganzen Welt, zahlreiche Lektionen erteilt, falsche Ideen entlarvt und zu neuen Erkenntnissen über die zukünftigen taktischen und wehrtechnischen Entwicklungen geführt. Von der Art der zukünftigen Kriegsführung über die Einschätzung von Drohnen bis hin zu dem, was militärische Macht wirklich ausmacht, hat der Krieg einige alte Vorstellungen erschüttert.

Die Auswirkungen des Konflikts waren so stark, dass selbst Deutschland grob aus seinem Schlaf und seinen Überzeugungen gerissen wurden. Hatte man sich lange dem Traum hingegeben, dass der europäische Kontinent nie wieder einen Krieg erleben würde; kommen jetzt die Forderungen nach einem massiven Ausbau des Verteidigungshaushalts aus dem gesamten politischen Spektrum.

Aber auch für das Militär an sich gibt es Erkenntnis und Lehren, welche für die taktische und wehrtechnische Zukunft von Bedeutung sind; einschließlich der sich entwickelnden Natur von verschiedensten Waffensystemen, der Artillerie, der Panzertruppe und der Cybertechnologie.

Einige dieser wichtigen taktischen Erkenntnisse aus dem Konflikt, sollen hier vorgestellt werden.

Die Kriege der Zukunft werden möglicherweise weder „kurz“ noch „schnell“ sein

Eine große und schwerwiegende Erkenntnis aus dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist die Möglichkeit, dass zukünftige Kriege lang und langwierig sein werden.

Lange waren sowohl offizielle Militär-Experten als auch unabhängige Kommentatoren sich einig, dass zukünftige Kriege „kurz und schnell“ sein werden. Insbesondere der rasche Vormarsch der Amerikaner bei den Kriegen in Afghanistan und dem Irak, und der russische in Georgien verstärkten diesen Eindruck. Da der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine am Freitag sein einjähriges Jubiläum begeht, kann man jedoch nicht mehr ausschließen, dass zukünftige Kriege sich ähnlich entwickeln werden.

„Globaler Polizeitruppe statt Landesverteidigung“

In den letzten 30 Jahren konzentrierte man sich, neben dem ausgiebigen Einstreichen der „Friendsdividende“, vor allem auf die Verwendung der Armee als eine Form von globaler Polizeitruppe. Statt einem langwierigen und Ressourcen intensiven Ringen mit einem etwa gleichwertigen Gegner konzentrierte man sich auf eine schnelle und hochmobile Truppen zur Bekämpfung von Aufständen und zur „Friedenssicherung“.

Und nicht nur das Militär, sondern auch die Industrie ging von einer Welt aus, in der die Produktionsketten ungestört sind und alles „just-in-time“ geliefert werden kann. Reserven wurden von fast niemandem mehr angelegt. Was sich nun in einem Mangel an Munition, Ersatzteilen, Waffensystemen und sonstigen Gütern niederschlägt.

Durch den Krieg ist offensichtlich geworden, welcher Fehler die Aufgabe von Kapazitäten und Reserven gewesen ist und welche enorme Bedeutung sie in der Gegenwart und Zukunft noch haben werden.

Altmodische Feuerkraft und simple Mannschaftsstärke

Viele Militärs und Experten auf der ganzen Welt hatten den Eindruck bekommen, dass schwere konventionelle Waffensysteme wie Panzer, Artillerie und Kampfflugzeuge Relikte der Vergangenheit sind. Überbleibsel einer vergangenen Ära, deren Nutzen langsam, aber deutlich zu Ende ging.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat jedoch gezeigt, dass konventionelle Feuerkraft immer noch wichtig ist, da beide Länder diese Waffensysteme weiter verwenden.

„Auch Relikte haben ihren Platz in der Zukunft „

Zweifellos werden in Zukunft die Cyber-Kriegsführung und der Weltraum eine weitaus größere Rolle einnehmen, aber auch in künftigen Konflikten werden konventionelle Elemente der Kriegsführung noch einen Zweck haben. Es wird zu einer immer größeren Bedeutung werden, die richtige Mischung für die eigenen Bedürfnisse zu haben.

Eine weitere Lektion ist, dass eine gut ausgebildete Infanterie im Krieg immer noch wichtig ist. Es im Krieg um die Ukraine auf beiden Seiten die Infanterie, die Raum halten und oft genug auch erobern muss. Es gibt kein denkbares Szenario, bei dem sie ihre entscheidende Funktion einbüßen würde. Von den Stellungskämpfen im Donbass, bis zur Infiltration und Sondereinsätzen ist sie immer noch das Rückgrat der Armee.

Drohnen: Eine billige Revolution

Schon der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien hat allen Beobachtern gezeigt, wie Drohnen den Verlauf eines Konfliktes maßgeblichen beeinflussen können.

Mit dem intelligenten und kreativen Einsatz von Drohnen, um russische Panzerkolonnen und Artilleriestellungen anzugreifen, bewies die Ukraine schon in der Anfangsphase des Krieges, welchen Nutzen und welche Gefahr sie auf dem Schlachtfeld darstellen können.

Ein Jahr nach Beginn des russisch-ukrainischen Krieges sind Drohnen ein fester Bestandsteil beider Armeen und aus ihrer Kriegsführung nicht mehr wegzudenken.

  • Billige zivile Modelle zur Aufklärung im nahen Bereich,
  • Kamikaze-Drohnen und „loitering munitions“
  • Marschflugkörper ersetzende Langstecken Drohnen
  • Drohen als Ersatz für Flugzeuge, wie die türkische Bayratkar TB2

Nicht nur verschaffen sie den Truppen einen Vorteil durch Informationen über das Schlachtfeld und erlaube die Bekämpfung von Fahrzeugen und Stellungen aus der Distanz; aufgrund ihrer geringen Kosten sind sie auch in der Lage, den Luftraum zu überrennen.

„Es kostet siebenmal mehr eine Drohne abzuschießen, als sie zu starten“

Das Problem ist, dass es schätzungsweise bis zu siebenmal mehr kostet, eine Drohne mit einer Rakete abzuschießen als eine Drohne zu starten. Die Verwendung von regelrechten Drohnen-Schwärmen ist daher ein mögliches Mittel, um die gegnerische Luftverteidigung zu überwinden und auch geschützte Ziele zu treffen.

Es ist eine interessante Wendung des Schicksals, wie auf diese Weise an sich veraltete Waffensysteme wie der „Gepard“-Flak-Panzer eine neue Bestimmung gefunden haben,

Die Verteidigung muss autark sein

Eine weitere Lehre aus dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine, ist die Notwendigkeit in Sachen Verteidigung autark zu sein. Sowohl die Ukraine, als auch Russland, haben seit dem Beginn der Kämpfe mit starken Versorgungsschwierigkeiten zu kämpfen.

Während Kiew regelmäßig im Westen um weitere Vorräte und Waffensysteme betteln muss, hat Moskau den kompletten Lagerbestand aus Sowjetzeiten an die Front geworfen. Doch die Produktion von neuen Waffensystemen, insbesondere von solchen, die als Hightech bezeichnet wird, stockt.

„Produktionskapazitäten sind ein Muss“

Selbst als Mitglied eines Verteidigungsbündnisses, kann es nicht schaden, die notwendigen Produktionskapazitäten und Technologien im eignen Land zu haben, um weniger auf andere Nationen angewiesen zu sein. Vor allem die Herstellung von Munition und Ersatzteilen, sowie die Möglichkeit zur Wartung der eignen Ausrüstung müssen sichergestellt werden.

Daneben ist auch die Versorgung der Zivilbevölkerung zu beachten. Während die Ukraine und Russland weniger davon betroffen sind, leiden viele Staaten in anderen Teilen der Welt unter der Störung der Lebensmittelversorgung. Und ähnliches gilt es auch bei der Energiepolitik zu beachten.

Eine einheitliche und vernetzten Kampfstrategie: Kein Luxus, sondern Notwendigkeit

Einer der großen Fehler der russischen Armeeführung war das ungenügende Zusammenspiel der verschiedenen Waffen. Ein kombinierter Einsatz der einzelnen Truppen erfolgte gerade in den ersten Tagen der Invasion nicht.

Die Luftwaffe unterstützte nicht die Luftlandetruppen, motorisierte Infanterie und Panzer rückten nicht gemeinsam vor, die Artillerie wurde von der Logistik im Stich gelassen. Während die russische Luftverteidigung nur auffiel, als sie von den vorrückenden Ukrainern erbeutet wurde.

Als Folge brach die Moral innerhalb der russischen Truppe zusammen und erschwerte den weiteren Verlauf der Kämpfe deutlich. Während die Ukraine einen weiteren Schub bekam, der ihren Durchhalte willen noch weiter ansteigen ließ.

„Erfolge durch Verbund“

Und auch später zeigt sich, welche Auswirkungen die Vernetzung und der Austausch der einzelnen Truppenteile auf die Kampfkraft hat. Die ukrainischen Erfolge in Cherson und Charkiw währen ohne das Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen und schnellen Austausch von Information untereinander wohl nicht möglich gewesen.

Für die Konflikte der Zukunft wird es von großer Wichtigkeit sein, diese Komponente der Kriegsführung nicht zu vernachlässigen, sondern vielmehr noch auszubauen. Gerade die Verbindungen untereinander und außerhalb der Befehlskette, ermöglichen es ein besseres Bild von der Lage zu bekommen und dort aktiv zu werden, wo man am meisten nutzen hat.