Die COVID-19-Pandemie und die russische Invasion in der Ukraine haben die Triebkräfte des geopolitischen Wandels beschleunigt. Die Konfrontation zwischen den USA und China, die Neuaufstellung der internationalen Lieferketten und das abnehmende Engagement für das Völkerrecht, sind alles Auswirkungen dieser Veränderung.

Diese geopolitische Instabilität ist eine Bedrohung für das nationale, als auch für das globale, Wachstum. Bei multinationalen Unternehmen werden die Auswirkungen, die ein einzelnes Ereignis oder ein politischer Wandel auf ihre Geschäftstätigkeit haben kann, durch ein komplexes Netz miteinander verbundener Abhängigkeiten noch weiter verstärkt. Die physischen Standorte von Niederlassungen, vielschichtige Lieferketten, geografisch mobile Arbeitskräfte und die Cyber-Konnektivität haben zu einer größeren Anfälligkeit für Risiken geführt, die sich aus dem grenzüberschreitenden Transfer von Waren und dem Währungsaustausch ergibt.

In dem Maße, in dem sich die geopolitische Landschaft verändert, muss sich auch die Art und Weise ändern, wie Risikoverantwortliche ihre Unternehmen schützen. Ein gründliches Verständnis der miteinander verknüpften geopolitischen Risikofaktoren und ihrer Auswirkungen bildet eine solide Grundlage für die Prävention und den Schutz vor diesen Risiken und ist unerlässlich, um einen Wettbewerbsvorteil zu wahren.

 

Mit Risiken der Geopolitik umgehen

Mit Risiken der Geopolitik umgehen

In einem veränderten operativen Umfeld müssen Unternehmen ihre Geschäfte mit neuen Methoden führen. Die vier Möglichkeiten, wie Unternehmen mit erhöhten geopolitischen Risiken umgehen können, sind: Enthalten, Wetten, Versichern oder Abschwächen.

Enthaltung

Unternehmen können beschließen, sich nicht an grenzüberschreitenden Geschäften zu beteiligen. Dies ist eine strategische Entscheidung, die von der Art der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens, seinen Zielen und dem Ausmaß des nationalen und internationalen Wettbewerbs abhängt. In der Praxis ist es jedoch schwierig, sich vom externen Umfeld abzuschotten. Autarkie ist schmerzhaft. Nordkorea ist ein aktuelles Beispiel und wohl kaum ein wirtschaftlicher Tiger. Auch relativ geschlossene Volkswirtschaften können sich externen Problemen nicht entziehen. Das Coronavirus ist ein Beispiel für die Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Ansteckung. Das Gleiche gilt für den Klimawandel, die Technologie und die Regulierung.

Wetten

Unternehmen können beschließen, das gesamte Risiko zu tragen und jeden potenziellen Verlust in Kauf zu nehmen, um Gewinne zu erzielen. Viele Ölkonzerne wählen diesen Ansatz, weil der Umfang ihrer weltweiten Investitionen so groß ist, dass die Kosten für eine Versicherung höher sind als die Wahrscheinlichkeit, dass ein größerer Vorfall mehr als einen kleinen Teil ihres Portfolios betrifft. Auch hier kommt es auf die Art des Geschäfts und die strategische Risikobereitschaft an. Die Gewinne können in einem Jahr riesig sein, aber in einem anderen Jahr zusammenbrechen, wenn sich die externen Risiken verschlechtern. Den Aktionären mag das eine gefallen, das andere nicht.

Versichern

Unternehmen können Absicherungen treffen, sei es eine spezielle Vorkehrung für politische Risiken oder eine Garantie von einer Exportkreditagentur oder einem Lieferanten. Natürlich sind diese Versicherungen mit erheblichen Kosten verbunden, insbesondere für Gebiete mit höherem Risiko, so dass die Entscheidung eine wirtschaftliche Abwägung ist. Weniger Risiko, aber weniger Ertrag.

Abschwächen

Unternehmen können nach Wegen suchen, um das Risiko zu minimieren. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, die vom Produkt, dem breiteren Markt, der Laufzeit und dem Umfang abhängen.

Beispiel: Das Risikomanagment von Bankkrediten

Für eine Bank sind die Wahl des Produkts und seine Laufzeit entscheidend. Das Marktrisiko ist das Produkt mit der kürzesten Laufzeit, z. B. für den Devisen- oder Zinshandel, obwohl komplexere Produkte längere Laufzeiten haben und in riskantes Terrain abgleiten können. Anleihen werden auch als eine weniger riskante Form der grenzüberschreitenden Investition angesehen.

Handelskredite sind das Produkt mit der nächst kürzeren Laufzeit und liegen am risikoärmsten Ende der Skala. Einige Geschäfte können eine Laufzeit von 3 bis 5 Jahren haben, die meisten haben jedoch eine Laufzeit von 364 Tagen oder weniger. In der Regel wird das Risiko dadurch begrenzt, dass der Kredit durch die gehandelten Waren gesichert ist. Wenn eine Lieferung nicht bezahlt wird, ist es unwahrscheinlich, dass die nächste Lieferung kommt. Risikoscheue Kreditgeber handeln möglicherweise nur mit strategisch wichtigen Handelsgütern, wie z. B. Lebensmitteln oder wichtigen Industriegütern, die für die Leistung einer Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, da diese am ehesten vollständig zurückgezahlt werden können.

Projektfinanzierungen können aufgrund ihrer längeren Laufzeit als risikoreicher angesehen werden, aber die Möglichkeit, die Darlehensbedingungen zu strukturieren und sie möglicherweise durch einen Einkommensstrom zu sichern, verringert das Risiko erheblich. Trotzdem sind sie das risikoreichste Produkt in Bezug auf die Laufzeit, zusammen mit allen anderen Krediten über fünf Jahre. So könnte beispielsweise ein Kredit für die Entwicklung einer Kupfermine so strukturiert werden, dass die Rückzahlungen an den künftigen Einkommensstrom gekoppelt sind. Was aber, wenn der Rohstoffpreis einbricht? Oder die Produktion aus einem technischen Grund ausfällt? Oder sich die Technologie ändert? Oder die Mine überflutet wird? Oder enteignet wird? Oder sich die Laufzeit der Betriebsgenehmigung ändert?

Abgesehen von der Wahl des Produkts gibt es Optionen wie staatliche Garantien oder Versicherungen, um das Risiko eines Ausfalls zu mindern – oder die Strukturierung einer Kreditlinie, um die Rückzahlung durch zukünftige Einkommensströme zu sichern. Dies ist jedoch kostspielig und schmälert die Rentabilität des Geschäfts. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass ein – auch beträchtlicher – Teil des Geschäfts nicht zurückgezahlt wird, was sich wiederum auf den Gewinn – und die Bilanz – des Kreditgebers auswirkt.

Es ist eine umfassendere Finanzperspektive erforderlich. Wenn ein Kreditgeber beispielsweise in einem bestimmten Land tätig ist, müssen im Rahmen der vereinbarten Risikobereitschaft sowohl die Fähigkeit (wirtschaftlich) als auch die Bereitschaft (politisch) zur Rückzahlung eines Darlehens – oder einer Anleihe, einer Handelskreditlinie oder einer Projektinvestition – berücksichtigt werden.

Im Wesentlichen müssen die Unternehmen ihre Ansätze neu bewerten und verfeinern und ihre Business Intelligence verbessern, um die Chancen auf operativen Erfolg zu erhöhen.

Alte Daten für neue Prognosen

Alte Daten für neue Prognosen

Ein großes Problem besteht darin, dass die Daten, die in die traditionellen Modelle eingegeben werden, per definitionem rückwärtsgerichtet sind, während die Risikobewertung zukunftsorientiert sein muss. Daraus ergibt sich eine wichtige Frage: Wie lässt sich diese Dichotomie in Einklang bringen, wenn man bedenkt, dass die Zukunft nicht unbedingt der Vergangenheit gleicht?

Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die von den Unternehmen sorgfältig abgewogen werden müssen. Hier sind nur einige Beispiele:

Pandemie

Es gibt Lehren, die man aus der Geschichte ziehen kann. Das Coronavirus war eine neue Entwicklung, aber der SARS-Ausbruch von 2003 wies Ähnlichkeiten auf, die extrapoliert werden können, zumal der Ursprung geografisch ähnlich war.

Cybersecurity

Bei einer neuen Bedrohung wie der Cybersicherheit sind die Vergleichsmöglichkeiten in der Vergangenheit begrenzt. Neue Entwicklungen haben aber gezeigt, dass Cyber-Bedrohungen weltweit großen Schaden anrichten können.  Nur sehr wenige Unternehmen könnten sich vollständig gegen einen ausgeklügelten Cyberangriff absichern. Die meisten Unternehmen würden sich auf den Schutz der öffentlichen Infrastruktur verlassen.

Lieferkette

Eine entscheidende Entwicklung, die die geopolitische Risikobewertung erschwert, sind die Lieferketten. Wirklich globale Lieferketten entstanden nach dem Kalten Krieg und haben sich zu weltweit vernetzten Liefer- und Nachfragenetzwerken mit tiefgreifenden gegenseitigen Abhängigkeiten entwickelt, die äußerst komplexe Vorgänge umfassen und die Anfälligkeit jedes Landes und jedes Herstellers in diesem Prozess erhöhen. Von der Förderung von Rohstoffen über ihren Transport, die Verarbeitung, Endmontage bis hin zum eigentlichen Verkauf, gibt es eine unzahl an Schritten, die alle anfällig für Probleme sind.

Multipolarität

Der Übergang zu einer multipolaren Welt hat den Wettbewerb und das Misstrauen zwischen den politischen Führern verschärft. Der zunehmende Einsatz wirtschaftlicher Waffen wie Zölle und Sanktionen als geopolitisches Druckmittel hat auf der ganzen Welt Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit von Unternehmen. Der Rückzug vieler westlicher Unternehmen aus Russland und die Verlagerung von Finanzinstituten von Hongkong nach Singapur sind zwei solche Beispiele.

Das geopolitische Spiel gewinnen

Es ist notwendig, quer zu denken, um alterantive Lösungen zu finden. Unternehmen sollten die Geschichte eines Landes und der Welt kennen. Die Datenanalyse geopolitischer Risiken ist dabei ein Teilbereich der quantitativen Risikobewertung. Sie wird benötigt, weil die Geschwindigkeit und Komplexität des geopolitischen Wandels zunimmt und die traditionelle politische Risikoanalyse damit nicht Schritt halten kann. Sie unterscheidet sich von älteren Modellen, weil sie neue politische Datensätze verwendet, die einen genaueren und vorallem aktuellen Blick auf geopolitische Risiken ermöglichen. Auf diese Weise ermöglich sie die Entwicklung von neuer Strategien zur Risikominderung.

Datenerhebung und „Garbage in, Garbage out“

Die traditionellen Datenerhebungen sind für die aktuelle geopolitische Risikobewertung nach wie vor relevant, aber sie reichen nicht mehr aus. Zwar ewrden imm mehr und immer schneller neue Informationen gesammelt und verarbeitet, ihr Wert is aber häufig zweifelhaft. So übertreiben einige Länder routinemäßig bei den Schlüsseldaten oder geben zu wenig an, wobei China ein Beispiel für Ersteres ist. China veröffentlicht seine BIP-Daten routinemäßig unmittelbar nach dem Ende eines Bewertungszeitraums und manchmal sogar vorher. Dabei dauert es in der Regel einige Wochen, und es folgen zahlreiche Revisionen, die die unmittelbare Einschätzung massiv verändern können, sobald die vollständigen Fakten vorliegen. Zweifel an der Qualität der Chinesischen Zahlen sind daher begründet und verständlich. Um „Garbage in, Garbage out“ zu vermeiden, benötigen alle Modelle einen korrekten Input.

Die Welt hat sich in den letzten Jahren aufgrund wichtiger geopolitischer Ereignisse erheblich verändert. Die Regeln der Wirtschaft haben sich geändert und das geopolitische Spielfeld hat sich gewandelt. Die Komplexität hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Infolgedessen müssen Unternehmen ihre Abläufe überdenken und ihr Vorgehen anpassen. Denn die neue Welt der Geopolitik wird es nich leicht machen Risikomanagement und Profit in einklang zu bringen.

Sarah Al Hakim