Es ist ein Unterschied, ob man jemanden in den Medien sieht, oder direkt hört. Dies gilt nicht nur für Konzerte, sondern auch für Wissenschaftler und Experten. Carlos Masala ist hier keine Ausnahme, und sein Vortrag am 10.4.24 in Eichenau enthielt mehr klare Worte als die meisten Beiträge in Internet und TV.
Auf Einladung der örtlichen CSU war der Professor gekommen, um sich vor einem vollen Saal, der nicht nur die lokalen politischen Größen, sondern auch eine Reihe von Soldaten bis zum Generalsrang enthielt, mit dem folgenden Thema zu beschäftigten:
„Die Situation in der Ukraine und Nahost. Wie ist die Situation jetzt? Was kommt? Sind wir darauf vorbereitet?“
Krieg in der Ukraine
Er gibt es dabei offen zu: Die Lage in der Ukraine, insbesondere im Osten des Landes, bleibt kritisch. Seit zwei Jahren stehen die ukrainischen Streitkräfte ununterbrochen im Einsatz, oft mit unzureichender Rotation und knapper Munition. Dennoch widersteht die Ukraine weiterhin dem russischen Angriff, obwohl dringend benötigte Waffenlieferungen stocken.
Diese Blockade ist vor allem auf den Wahlkampf in den USA zurückzuführen, wo Republikaner unter Trump bewusst die Freigabe blockieren, um Präsident Biden unter Druck zu setzen. Gleichzeitig fehlt es in Europa an einer langfristigen Strategie zur Unterstützung der Ukraine, und Lieferungen erfolgen oft erst als Reaktion auf bereits akute Bedürfnisse.
Europa hat außerdem die Produktion wichtiger Güter, wie etwas Munition, verschlafen. Die Auswirkungen der heute getroffen Maßnahmen werden erst, mit langer Verzögerung, im Jahr 2025 spürbar werden. Bis dahin muss die Ukraine noch unter erheblichem Mangel bei der Versorgung leiden.
Dennoch kann die Situation nicht als Patt betrachtet werden!
Russland arbeitet mit einer Strategie der Masse, bei der sehr hohe Verluste in Kauf genommen werden, um nur marginale Erfolge zu erzielen. Während dessen kann die Ukraine trotz der Herausforderungen Erfolge verzeichnen. Sie kontrolliert wieder das Schwarzemeer und verschifft wieder Güter auf Vorkriegsniveau. Ukrainische Dohnen attackieren bereits tief in Russland und behindern signifikant die Öl- und Energiewirtschaft. Weitere Erfolge der Ukraine sind die Abwehr des Angriffs auf Kiew und die Befreiung von 50 % des eroberten Gebietes.
Der Einsatz ist dabei sehr hoch. Moskaus erklärtes Ziel ist das Ende der Ukraine und Putin selbst verneint die Existenz einer ukrainischen Identität. Er betrachtet die Bevölkerung nur als fehlgeleitete Russen, die wieder umerzogen werden müssen. Daher kommt es in den eroberten Gebieten zu einer aggressiven Kampagne der Russifizierung, welche auch vor Verschleppungen, Folter, Vergewaltigung und der Verbrennung von Büchern nicht Halt macht. Dabei ist es ist nicht Putins, sondern Russlands Krieg. Denn das Vorgehen findet großen Rückhalt und Unterstützung in der Bevölkerung.
Die von einigen vorgebrachten Forderungen nach Friedensverhandlungen unterliegt dabei einem Trugschluss. Ein Waffenstillstand oder Frieden wäre nur eine Verschnaufpause für Russland. Auch da es glaubt durch den Krieg mehr gewinnen als verlieren zu können; einen Grund für Diplomatie gibt es daher nicht. Tatsächlich hat der Kreml nicht gezögert, Friedensinitiativen der Schweiz und Chinas umgehend eine Absage zu erteilen.
Den Konflikt „einfrieren“ zu wollen, ist ebenfalls keine Lösung. Alle „Eingefrorenen Konflikte“ können nach Belieben wieder aufgetaut werden und im Interesse Russlands eingesetzt werden.
Hinzukommt, dass Verhandlungen nicht ein Ende der Kämpfe bedeuten. Häufig sind gerade die Verhandlungen der Grund für eine Verschärfung des Konflikts. Im Korea Krieg wurde von 1951 bis 1953 verhandelt; während der Verhandlungen starben 4 Mio. der insgesamt 6 Mio. Toten. In Vietnam wurden die Bombardierungen verstärkt, als die Verhandlungen in Paris stockten. Es ist gerade der Wunsch, die eigene Position am Verhandlungstisch durch Erfolge auf dem Feld zu verstärken, welche die Lage verschlimmert.
Auf lange Sicht geht es dabei nicht nur um die Ukraine, sondern um die Kontrolle des gesamten Ex-Sowjetischen Raums; inklusive des Baltikums und weiter Teile Ost-Europas. In 5-8 Jahren könnte Russland bereit sein, ein Nato-Land direkt anzugreifen, wobei einige Geheimdienste sogar von einer Frist von nur 3 Jahren ausgehen.
Diese Gefahr besteht nicht, weil die NATO in absoluten Zahlen schwach wäre, tatsächlich ist sie von Personal und Material Russland massiv überlegen, sondern weil sie gespalten wirkt. Sobald berechtigte Zweifel an Artikel 5., der Beistandspflicht in der NATO, bestehen, wird Moskau auch einen Angriff auf ein NATO-Land wagen.
Und um dies zu verhindern, muss die NATO Stärke und Geschlossenheit beweisen; eine russische Niederlage in der Ukraine wäre der einfachste, günstigste und schnellste Weg, um dies zu erreichen.
Israel
In Nahen Osten hat Israel den Krieg schon verloren; nicht auf dem Schlachtfeld, aber in den Medien.
Die grauenvollen Bilder, die täglich aus Gaza kommen, haben nicht nur weite Teile des „globalen Südens“ gegen Israel aufgebracht, sondern auch eine langsame Abkehr des Westens, inklusive BRD und USA, bewirkt. Auch hier ist es gerade der Wahlkampf in den USA, welcher für massiven Druck auf Präsident Biden sorgt.
Israel wird das selbst genannte Ziel hier nicht erreichen; die HAMAS wird weiter als politischer Akteur bestehen bleiben. Wobei es besonders schwer wiegt, dass Jerusalem keinen politischen Plan hat, was mit Gaza nach Ende der Militäroperation geschehen soll. Es stellt sich somit die Frage, wofür der Krieg eigentlich geführt wird, was die ganze Situation inakzeptabel macht. Denn ohne Lösung und Ziel ist das militärische Vorgehen nur eine sinnlose Kampagne.
Verschärft wird dies auch durch die Tatsache, dass Israel eine offene rechtsextreme Regierung hat, in der mehrere Parteien ein Pro-Siedler-Programm vertreten und am liebsten noch mehr tote Palästinenser sehen würden.
Eine große Gefahr ist auch die Ausweitung des Krieges auf den Libanon. Netanyahu hat massiv an Popularität eingebüßt und über 50 % der Likud-Mitglieder, seine eigene Partei, sind nun gegen ihn. Ein Angriff auf die Hisbollah im Libanon ist vermutlich die einzige Möglichkeit für ihn noch weiter an der Macht zu bleiben. Sobald dies geschieht, würde sich der gesamte Konflikt massiv ausweiten, und sich die Gefahr eines iranischen Eingreifens erhöhen.
Polykriese
Eine gemeinsame Herausforderung, die in diesem Kontext deutlich wird, ist die zunehmende Verflechtung verschiedener Krisen weltweit; die Polykriese.
Auch wenn es aus europäischer Sicht überraschen ist, so hat es doch schon immer Krisen gegeben. So ist die Lage etwa in Afrika nicht anders als in den vergangenen Jahrzehnten. Neu ist allerdings die enge Verbindung und gegenseitige Beeinflussung der Krisen untereinander. Zum Beispiel wird der Krieg in Gaza von Russland verwendet, um die Unterstützung der Ukraine zu unterwandern.
Keine dieser Krisen lässt uns unberührt. Die Schattenseite der Globalisierung ist, dass wir vom gesamten Globus auf die eine oder andere Weise abhängig sind. Eine Blockade im Roten Meer verteuert unsere Produkte, eine zerstörte Fabrik in der Ukraine verhindert die Produktion von Euro-Paletten. Die Globalisierung hat uns in einem Netz gegenseitiger Abhängigkeiten gefangen, was jede Krise zu einer potenziellen Bedrohung für uns macht.
Was haben wir also zu erwarten?
Wir werden für mindestens 10 Jahre einen „Kalten Krieg“ gegen Russland haben. Wobei es das Ziel sein muss, die Macht Moskaus einzudämmen und Sicherheit „gegen“ statt „mit“ Russland zu erreichen.
Dafür brauchen wir nicht nur eine „Kriegsfähige“ Armee, sondern auch eine „wehrhafte und wehrfähige“ Gesellschaft. Denn für uns ist die Hautgefahr nicht ein direkter russischer Angriff, sondern viel mehr die Hybride-Kriegsführung. Der kombinierte Einsatz von Desinformation, Propaganda und Cyberattacken.
Zwar hat es schon immer Hybride-Kriegsführung gegeben, aber heute ist sie sogar ein eigenes Operationsgebiet. Um ihr zu widerstehen, muss eine Gesellschaft eine Resilienz gegen Beeinflussung entwickeln. Man muss sich offen zur Demokratie und zur Freiheit bekennen, um zu verhindern, dass beides verloren geht.
Wehrpflicht oder Schwedisches Modell
Die wichtigste Zuhörerfrage war zur Wehrpflicht. Soll sie wieder eingeführt werden? Der Professor meldete dabei Bedenken an. Die Bundeswehr hat nach dem Ende des Sondervermögens einen zusätzlichen Materialbedarf von etwa 40-60 Mrd. pro Jahr.
Wir haben aber nicht mehr die Strukturen für eine allgemeine Wehrpflicht. Um diese wieder aufzubauen würden weitere 38 Mrd. pro Jahr als Kosten auf den Steuerzahler zukommen. Seine Frage daher:
„Welche Regierung wäre in der Lage mindestens weitere 70 Mrd. pro Jahr für die Bundeswehr aufzubringen?“
Seiner Meinung nach wäre es weit besser, das „Schwedische Modell“ mit breiter Musterung und geringer Einberufung einzuführen. Es ist nicht nur verhältnismäßig günstig, sondern auch sinnvoll, um einen Überblick zu erhalten und es führt zu einem Ansehensgewinn der Armee. Allerdings muss die Entscheidung über die Zukunft der Rekrutierung noch in dieser Legislaturperiode entschieden werden; denn bald könnte es schon zu spät sein.
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